Donnerstag, 12. April 2012

03.Angst und Schrecken bei Freunden


Wenn ich etwas für wichtig empfinde, dann sind es Versprechen und Prinzipien.
Und genau deshalb hielt ich das ein, was ich mir vor wenigen Tagen versprochen hatte: Trinken. Es gab ja einen guten Grund.
Meine Freundin würde vielleicht schon jetzt in der Techno-Kultur-Hölle angekommen sein und mit irgendwelchem Hipsterpack schlimmste Sexualpraktiken betreiben!
Ich wollte ihr wenigstens in Sachen Alkoholpegel in nichts nachstehen.
Da  alleine Trinken keinen Spaß macht und diese Aktivität sowieso als Gemeinschaftssport deklariert ist, traf ich mich als erstes mit einem guten Freund. Nick stand schon am üblichen Laden, in dem wir immer unsere Gemütsverstärker kauften. Der Freitagabend war also eingeläutet.
Im Laden überlegten wir bestimmt eine Viertelstunde, was es denn nun geben solle. Eine rücksichtslose Destruktion des eigenen Stoffwechsels? Dann wäre es wohl der Jim Beam Red Label geworden, mit einem Energydrink als Zusatz zur geschmacklichen Unerträglichkeit. Oder eher unverantwortlicher Konsum von Gift, versetzt mit einer Getreidemischung? Dann wär's Seven Oaks gewesen.
Wir entschieden uns jedoch für eine etwas stilvollere Variante, medialisiert durch Unmengen bekannter und weniger bekannter Filme: Unserem guten Freund Mr. Jack Daniels. Weder Scotch noch Bourboun, von Whiskey Kennern verachtet, von mir deshalb umso mehr verehrt.
Da nun also die wichtigste Frage des Abends geklärt war, machten wir uns auf den Weg zu einem weiteren guten Freund. 
In seiner Wohnung angekommen staunte ich ein weiteres mal über die, meines Erachtens, ultimative Mediastation. Diese besteht aus einem High-End Computer, einer High-Speed Internetverbindung, einer Sammlung von Videospielen und Filmen im Wert von mehreren Tausend Euro, einer 5.1 Dolby Surround Sound Anlage und einer Wand die mit Hilfe eines Beamers bis in die Ecken mit einem hochauflösenden Bild ausgefüllt ist.
Ein perfekter Ort, um sich zu betrinken und jede mögliche Realität zu vergessen.
Ich schenkte mir mein erstes Glas ein, ohne zu wissen, was der Abend bringen mochte oder was ich überhaupt von diesem Abend erwarten sollte. Sollte es mir helfen mich von meiner gescheiterten Beziehung abzulenken? Oder von meiner Unbeholfenheit und Unsicherheit im Umgang mit Frauen, insbesondere Marla - dem Paradebeispiel? Warum konnte ich mich nicht einfach von dieser narzisstischen Frau trennen, akzeptieren, dass all der Beziehungsstress unnütz war und dieser mein Selbstbewusstsein nicht verstärkt, sondern auf ein Minimum reduziert hat? Aber all diese Fragen, welche kurz aufblitzten, wie die Scheinwerfer eines Autos, das in der Dunkelheit an mir vorbei rauschte, schluckte ich mit einem kräftigen Schluck hinunter, in der Hoffnung, dass sie nie wieder bis zu meinem Kopf vordringen würden.
Nick und ich schenkten uns ein weiteres Glas ein, während Karl, unser Gastgeber, auf den Genuss eines Tennesse Malts verzichtete.
Ich wusste nicht weshalb Nick scheinbar bei meiner Trinkfrequenz mithalten wollte. Hatte er die gleiche Intention bei diesem exzessiven Konsum? Oder war er einfach ein konsequenter Verfechter des fairen gesellschaftlichen Konsums?
So oder so hatte dies zur Folge, dass die Gedankengänge mit denen wir uns beschäftigten immer nichtiger wurden. Anfangs redeten wir noch über Videospiele und Filme, doch einige Gläser später waren wir an dem Punkt angekommen, an dem wir uns fragten, wie sich das Stöhnen einer japanischen Frau beim ekstatischem Geschlechtsverkehr anhören mochte. Dank Karls ultimativer Mediastation und dem alles ermöglichendem Internet, war es ein leichtes, dies herauszufinden.
Die  Seite auf der wir uns befanden, deckte so ziemlich jeden Bereich der Lustförderung ab. So gab es Themen wie harmloser Striptease bis hin zu Hardcore Fetischismus und mir wurde wieder klar, was der meist besuchte Ort im Internet für eine individuelle Fairness bot. Vielleicht ist diese Tatsache der Beweis für den Sinn eines jeden Gesellschaftswesens: Es geht immer nur um das "Eine". 
Wir wählten die Rubrik Asien aus, um die Antwort auf unsere Frage zu erhalten. Ich möchte jetzt weniger darauf eingehen, welchen Eindruck es wohl macht, dass sich drei Männer in einem Raum, einen auf die Wand projizierten Porno anschauen. Hingegen mehr auf die Beantwortung unserer Frage: Ein heller schriller sich immer wiederholender Ton, der sich mehr nach Hilfeschrei und Schmerzensschrei anhört, als nach gefühlvollem, akustischem Ausstoß von Glückshormonen. Es war, für mich jedenfalls, eher nervtötend als erotisch. Während wir uns weiterhin über das Stöhnen japanischer Frauen lustig machten und öfters in schallendes Gelächter ausbrachen, fing Karl an sichtlich genervt zu sein, was wir ihm mit unseren nun verschwommenen Sichtfeldern nicht anmerkten.
Stattdessen reduzierte sich unser Gedankenbereich weiter und fand seinen Tiefpunkt als Nick und ich uns wankend auf die Suche nach zwei Tiefkühlpizzen machten, die sich laut Karls genervten Worten in dem Gemeinschaftskeller des Treppenhauses befinden sollten. Nachdem ich eine Lampe in dem Flur von Karls Wohnung runtergerissen hatte, weil ich mich daran festhalten wollte, gingen wir ins Treppenhaus. Komischerweise nicht wankend oder laufend, sondern schleichend und mit höchster Vorsicht, da sich hinter jeder Ecke unser imaginärer Feind offenbaren konnte! Trotz meines Verstandes, der sich mittlerweile beschämt von mir abgewendet hatte, wusste ich noch, dass es keine echte Angst war, da es kein Feind gab, den es zu überlisten galt. Wir schritten vorsichtig und mit gezogener Hand, welche die Form einer Pistole angenommen hatte, voran. Ich war mir jedoch spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem Nick die verschlossene Tür des Zimmers, in dem sich die Tiefkühlpizza befand, auframmte, nicht mehr sicher, ob Nick noch bewusst war, dass es keinen realen Feind gab. Als wir die Tiefkühlpizzen in den Händen hielten, wurde uns bewusst, dass Nick nicht nur das Schloss der Tür unbrauchbar gemacht hatte, sondern die gesamte Tür zweckentfremdet hatte, da sich an der Stelle der Tür, an der das Schloss befestigt war, weder Metal noch Holz befand. Ein großes Loch ließ die Tür zu einem unnützen Stück Brett werden, dass die Hälfte des Einganges versperrte.
Nachdem wir in Karls Wohnung einen wütend wetternden Karl vorfanden, der sich noch über mein Ungeschick mit der Lampe aufregte, entschieden wir spontan, unbemerkt das Hochhaus zu verlassen.
Wir waren uns sicher, dass es das Beste für uns alle sein würde, denn wir könnten keinen Schaden mehr anrichten und Karl könnte sich wieder einkriegen und hätte seine Ruhe vor uns.
Die Moral dieser Geschichte kenne ich nicht. Vielleicht kann man sich im betrunkenem Zustand mit der Erkenntnis zufrieden geben, dass man niemals eine Kombination aus zwei Flaschen und ihrem guten Freund Mr. Daniels ins Haus lassen darf.
Das kann nicht gut enden.
In unserem Rausch fuhren wir herunter an den Strand, machten einen kurzen Abstecher an einer Tankstelle und holten uns zwei Bier.
Wir setzten uns ganz nach unten ans Wasser und guckten beide hinüber auf das gegenüberliegende Ufer. 
Nick erzählte noch irgendwas von seiner kranken Mutter und das er mehr für sie da sein müsste, sie hat irgendeine chronische Herzkrankheit. Ich hatte jedoch, neben meinem kaputten Schädel, mit dem Löschen jedes Gedanken an Marla zu tun.
Im nach hinein überlege ich, wie ich Nick helfen könnte. Was für ein Idiot bin ich gewesen, mich mit meinen nichtigen Problemen zu beschäftigen, während mein Kumpel offensichtlich nach Hilfe sucht! 
Ich wünsche ich hätte ihm aufmerksamer zugehört.
Morgen werde ich aufstehen und mich fragen was das alles soll.
Ich sollte zu Karl gehen und mich entschuldigen.

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