Donnerstag, 17. Mai 2012

08.1.Holt die Schubkarre


Nun wollte ich mich ins Leben schmeißen, 
Marla vergessen und mit meinen guten Freunden sein. Ich war so mit Marla beschäftigt gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, mich um meine Freunde zu kümmern. Ich fühlte mich wie ein Heuchler, weil ich erst jetzt wieder an sie dachte. Jetzt wo Marla weg war. Ich wollte es mir auf keiner Weise mit ihnen verscherzen.
Auf die Leute, mit denen ich nun in dem Haus meines Freundes Paul saß, wollte ich mich einlassen und versuchen sie kennen zu lernen. Nach einiger Zeit und einigen Bieren, kam ich jedoch zu dem Entschluss, zu versuchen, die Leute wenigstens auszuhalten.
Es handelte sich dabei wirklich nicht um eine abgeneigte Haltung meinerseits gegenüber anderen Menschen. Ich wusste nur einfach nicht wie ich mich mit ihnen hätte unterhalten können, ohne den Einen auf seine, in Pauls Räumlichkeiten, unnütze Sonnenbrille anzusprechen. Den Anderen, der eben noch mit mir sprach, das Handy aus der Hand zu schlagen, weil er plötzlich einfach anfing darauf rumzutippen. Oder einen Anderen in seinem Vortrag über die absolut zuverlässige Wirkung von Homöopathie zu unterbrechen und zu fragen, was er sich bloß bei dem Blödsinn denkt, den er verzapft. Nick wiederum schaute dem Typen interessiert entgegen. Warum dieser interessierte Blick, obwohl er sich vor nicht allzu langer Zeit über diese Art von Typ in einem ausführlichen Vortrag echauffiert hatte.
Möglicherweise lag es an der Tatsache, das abgesehen von mir, alle tranken, als würden sie versuchen jemanden zu vergessen. So wie ich es versucht hatte.
Ich blieb bei meinem Bier, während Nick ununterbrochen eingeladen wurde noch ein Glas Whiskey, Rum oder Wodka mit Cola zu trinken. Ich selber lehnte dankend ab, was mich anscheinend immer weiter von ihrer Zugehörigkeit entfernte.
Die Freude der Leute, die anfangs zwanghaft erschien, um eine schöne Zeit zu haben, entwickelte sich, durch das dauerhafte Anstoßen, zu einer immer echter werdenden Freude, die nicht durch den Menschen, sondern der chemischen Reaktion im Gehirn der Leute hervorgerufen wurde. 
Die Partygäste aus den verschiedenen Freundeskreisen hatten sich mittlerweile auf einander eingelassen. Ich zählte zu dem direkten Freundeskreis von Paul, genau so wie Nick. Wir kannten uns schon vor der Schulzeit. Hinzu kamen die Freunde aus Pauls Klasse und deren Freunde und so weiter. Der Abend schien gerettet und wurde trotz einiger, dem Alkohol zuzuschreibenden Albernheiten, immer amüsanter. 
Dieser Zustand bestand jedoch nur für eine kurze Zeitspanne, da der Alkohol unerbittlich weiter floss. So nahmen die Albernheiten zu und damit das Niveau unvermeidlich ab. Ich war mit halbwegs klarem Kopf mitten drin und mir war langsam danach dem Hipster der die Musikanlage scheinbar für sich beansprucht hatte K.O. zu schlagen, um wenigstens einmal etwas MUSIK zu hören.
Die Dubstepmusik dröhnte ohne unterlass weiter durch die Ohren und stoppte erst in Magengegend. Die Gesprächsthemen trafen sich, wo sie sich immer auf solchen Partys trafen: Bei den überaus bedeutungsvollen und karrierefördernden Leistungen und Aktivitäten, die diese Leute vollbrachten und der Erfahrungen mit übermäßigem Alkoholkonsum. Diese Geschichten sind auch durchaus amüsant, belaufen sich letztendlich aber immer darauf, dass jemand sich zum Affen macht und später jemand anderen vollkotzt. Das hört sich auf den grundlegenden Inhalt minimiert nach einer wirklich traurigen Geschichte an. Diese Geschichte, welche ich gerade erzähle, beinhaltet zwar auch die erwähnten Inhalte, macht diese jedoch nicht zur Essenz.
Später standen Nick, Paul, zwei andere Typen und ich vor Pauls Haustür um zu rauchen. Nick konnte sich, wegen der Einladungen zu den vielen Drinks nur schwer auf den Beinen halten und es war mittlerweile nicht mehr amüsant ihn in dem Zustand zu beobachten. Doch ich sagte nichts dazu. Als er dann eine Wette mit einem der anderen beiden Typen abmachte, in der es darum ging, wer zuerst seine Whiskeyflasche absetzte, griff ich ein. 
"Nick, es reicht doch langsam nicht wahr?" sagte ich. Der andere Typ wendete ein, ich solle mitmachen oder verschwinden. Doch ich ignorierte ihn. Nick schien aber genauso erfolgreich mich zu ignorieren, setzte die Flasche an seinen Mund an und zählte: "Eins und los!" Beide tranken und Paul und der andere Typ feuerten sie an. 
Ich griff nach Nicks Flasche. Er zog sie jedoch von mir weg um nicht absetzen zu müssen, verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden. Es folgte der erwähnte Inhalt einer jeden solcher Geschichten.
Paul lachte auf. Mir war mittlerweile jede Art von Mimik, die an lachen erinnerte vergangen. Nick war absolut ausser Gefecht gesetzt. Er bewegte sich nicht mehr und war nicht ansprechbar. Ich hielt ihm einen Finger unter die Nase und spürte den Luftzug seines Atems. Nachdem ich nun also festgestellt hatte, dass er noch lebte und Paul sich wieder eingekriegt hatte, wollten wir ihn in die Wohnung tragen, wobei die Türschwelle schon einige Meter von uns entfernt war. Paul ließ Nick los und verlor das Gleichgewicht, konnte sich aber noch fangen.  "Holt eine Schubkarre!", rief Paul. Wir fuhren Nick mit einer Schubkarre zurück, in der er am nächsten Tag, dem wahrscheinlich schlimmsten Tag seines Lebens, aufwachen würde.
Warum war Nick so sehr ausser Kontrolle geraten? Er war doch ein verantwortungsbewusster Trinker.
Er wollte schon immer dazu gehören und tat dies auch. Ich wollte das doch auch. Wer möchte das nicht. 
Ohne jemanden der etwas mit dir teilt gibt es keine Freude.
Bin ich nun also derjenige, welcher im Unrecht liegt, da ich nichts zur allgemeinen Belustigung beigetragen habe? 
Warum verhalten sich die Leute so wahnsinnig in Gesellschaft Fremder und Bekannter? Oder bin ich es vielleicht der sich merkwürdig verhält? Habe ich das alles möglicherweise als albern und nichtig empfunden, weil ich nicht  genügend Selbstbewusstsein habe, meinen Teil daran beizutragen? Ich kann mich jedoch nicht damit anfreunden den Leuten und ihren Verhaltensweisen recht zu geben, möchte ihnen aber auch kein Unrecht durch meine möglicherweise falsche Meinung antun und damit der guten Stimmung Abbruch tun.
Doch gibt es nicht zumindest eine Grenze zwischen dem was möglicherweise lächerlich ist, aber der Stimmung gut tut und vorsätzlicher Bekloptheit und Selbstzerstörung zum Wohle der Stimmung?
Vielleicht bin ich einfach nicht betrunken genug.
Ich gehe durch die Nacht nach Hause. In Wut, Beschämung und Verwirrung.
Verwirrung, da ich mir nicht sicher bin, wem gegenüber ich Wut und Beschämung fühle.

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