Dienstag, 1. Mai 2012

06.Verdammte Scheiße, ihr geht's gut


Mein Plan, Marla mit Hilfe von Ritualen, in denen der übermäßige Gebrauch von alkoholischen Getränken essentieller Bestandteil war, zu vergessen, ging nicht auf. Auch die Idee meinen Körper so sehr mit Hochleistungssport zu beanspruchen bis ich nur noch meine schmerzenden Muskeln im Sinn hatte, half nicht im geringsten.
In den folgenden Tagen schaffte ich es nicht auch nur ein Mal nicht an sie zu denken. Dabei wusste ich schon einige Wochen zuvor, dass es nicht mehr lange gut gehen würde. Die ständige Streiterei über Nichtigkeiten, das Desinteresse an allem was ich tat, abgesehen von meiner bloßen Anwesenheit.
Doch obwohl ich wusste, dass sie mir schon lange nicht mehr gut tat, wollte ich sie wieder sehen. Nicht in diesem abrupten Ende auseinandergehen, als wäre nun alles vorbei. Zwischen den Verflechtungen und Knoten von Gedankenströmungen in meinem Gehirn, die alle den Namen Marla beinhalteten, drängte sich eines immer wieder hervor. Es war weder die Frage, was nun genau schief gelaufen war, noch die Frage wozu dieser ganze Stress, diese ganze "Arbeit" mit ihr, gut gewesen war. Ich dachte immer wieder darüber nach, wie Marla nun zurecht kommen würde. Nicht das ich so ein toller Typ war, der einem Mädchen alle anderen Typen versaut. Nein, der war ich ganz sicher nicht. Dennoch hatte ich mich, so dachte ich jedenfalls, zu einem essentiellen Teil ihres Lebens etabliert.
Marla hatte mir so ziemlich alles erzählt, was sie, soweit man ihr glauben mochte, zuvor noch niemandem erzählt hatte. Ich war nicht nur ihr fester und intimer Freund gewesen, sondern auch bester Freund und Psychiater zugleich.
Das ich ihr so wichtig war, empfand ich als schönsten Grund mit ihr zu leben. Jemandem so viel zu bedeuten, das man ein wirklich wichtiger Teil seines Lebens ist. Notwendig, um unbeschwert leben zu können.
All diese Empfindungen bündelten sich in Marlas abrupten Abwesenheit zu einem Gedanken, fast schon in einer Angst. Wie verkraftete sie es nicht mehr über ihre Probleme, die sie so nachdenklich und gefühlsschwankend stimmten, reden zu können? 
Würde sie in eine tiefe Depression geraten und sich etwas antun?
Die Probleme in ihrer Familie. Die unaufhörlichen Streitereien in ihrem Freundeskreis. Außerdem der immer stärkere Konsum von Kokain und all die weiteren Probleme, die sie mir offenbart hatte.
Ich würde ihr alles verzeihen.
Doch dieser alles verdrängende Grundgedanke hat sich nun, mit einem Mal, aufgelöst und mit ihm das gesamte Gedankengeflecht. Es bildete sich daraus jedoch eine, für mich viel grundlegende Frage, nachdem ich heute, drei Wochen später, Marla zufällig an einer Bushaltestelle wieder traf.
Ich hatte mich von Nick überreden lassen "Einen trinken zu gehen".
Dann würde ich sie schon vergessen, hatte er gesagt.
Wie das Leben eben so spielt, stand sie genau an der Bushaltestelle, an der ich mit Nick auf den Bus wartete. Ich dachte mir, wenn ich ihr begegne, würde es schwer sein, ihre Gesellschaft zu ertragen, da sie in Depressionen versunken ist, mit aufgequollenen Augen und wehleidigem Gesichtsausdruck.
Sie lächelte als ich sie bemerkte und mein Verstand machte einen Kopfstand, verlor das Gleichgewicht und viel dabei auf den Kopf.
Ein solch lebensfrohes Lächeln hatte ich bestimmt in den letzten vier Monaten nicht mehr auf ihrem Gesicht gesehen.
Verdammte Scheiße, ihr geht es gut, dachte ich. Das war auch schon der Moment, der das Grundgerüst meiner Beziehungsanalyse erschütterte. 
Zwei Minuten hatten gereicht, um mich ratlos zu stimmen. Dann entstand das Gefühl der Nutzlosigkeit, dessen ich mich auch jetzt noch ausgesetzt fühle.
Ich hatte ihr nicht gut getan. Vielleicht hatte ich es noch verschlimmert. Mir wurde klar, dass sie keine Hilfe braucht und auch nie gebracht hat. Sie konnte sich selbst helfen, keine Ratschläge waren nötig. Ich war das beseitigte Problem.

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